Jahresrückblick 2022

Dieses Jahr waren unsere Aktivitäten ganz durch den Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht  (BVerwG) geprägt

Am 15. März 2022 endete die Frist für die Erwiderung auf Stellungnahmen.

Die mündliche Verhandlung wurde auf den 21. Juni 2022 terminiert. Wir hatten also genügend Zeit, um unsere Präsenz bei der Verhandlung und eine Bahn-Gruppenreise zu organisieren. Die Fahrt nach Leipzig und auch die mündliche Verhandlung vor dem BVerwG fanden unter Coronabedingungen (Maskenpflicht) statt.

Ergebnis des Petitionsverfahrens vor dem Bundestag: kein Handlungsbedarf

Am 27. Mai 2022 ist der Beschluss des Bundestags vom 12. Mai 2022 zu unserer Petition vom 16. Oktober 2018 (!) beim Sprecher der Bürgerinitiative  eingegangen, eine enttäuschende Antwort.

In der Petition hatten wir den Bundestag gebeten, das Leitungsausbauvorhaben Nr. 3 im Anhang des Energieleitungsausbaugesetz (EnLag) – also die 380kV-Freileitung von Bertikow nach Neuenhagen – in den Katalog der Erdkabelprojekte aufzunehmen.

Der Petitionsausschuss hatte die Bundesregierung um eine Stellungnahme gebeten, der er sich anschloss, ohne die Argumente abzuwägen.

Die Bundesregierung – das ist der Darstellung zu entnehmen – reproduzierte die Darstellung des Netzbetreibers, wonach von der Leitung keine Gefahr für die Vögel in den betroffenen Schutzgebieten ausgehe und eine Fülle von Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen seitens des Vorhabenträgers zur Kompensation beitrügen (Vogelschutzmarker u.a. auch im Havelland und an einer 110kV-Freileitung, Erdverkabelung von 3 Mittelspannungsleitungen und der Rückbau der 220kV-Bestandsleitung).

Wir kennen diese Argumentation.

Unsere Forderung wurde seitens der Bundesregierung auch deshalb abgelehnt, weil das Verfahren bereits weit fortgeschritten sei und die Ausweisung der Leitung als Erdkabelpilotprojekt zu einer „erheblichen Verzögerung des Projekts führen“ würde. 

Es wurde konstatiert, dass Erdkabel im Höchstspannungsbereich „nicht dem Stand der Technik“ entsprächen.

Die Aufnahme in den Katalog der Pilotprojekte eröffne zudem nur die Möglichkeit einer Prüfung der Erdverkabelung, während eine Erdverkabelung zu neuen Betroffenheiten (mit neuen Prozessrisiken) führen würde.

Fazit des Ausschusses: „Vor diesem Hintergrund“ ist kein Handlungsbedarf erkennbar. Das Petitionsverfahren ist „abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden kann.“

Wenn man berücksichtigt, wie lange der Ausschuss benötigt hat, um dieses Ergebnis zu formulieren, beschleichen einen schon Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Petitionsrechts. Dass sich der Petititionsausschuss die Sichtweise der Bundesregierung zu eigen macht, ohne auf unsere Argumente einzugehen, ist schon befremdlich.

Mit der Aufnahme des Leitungsbauvorhabens 380kV-Freileitung von Bertikow nach Neuenhagen als Nr. 3 in den Anhang des EnLAG , obwohl das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens besagte, dass dieses Leitung nur „bedingt genehmigungsfähig“ sei, hat der Bundestag fahrlässig gehandelt, denn dadurch wurde die Leitung als „beschleunigt“ zu realisieren charakterisiert.

Zu dieser Fahrlässigkeit im Gesetzgebungsverfahren kommt nun noch eine einseitige Stellungnahme im Petitionsverfahren. Ein enttäuschendes Ergebnis. Das wurde dem Petitionsausschuss auch mitgeteilt.

Zur mündlichen Verhandlung vor dem BVerwG am 21.6.2022

Die Fragestellungen des Rechtsstreits

In Ihren ausführlichen Stellungnahme hat die Kanzlei Philipp Heinz, gestützt auf die Zuarbeiten von unseren Experten, noch einmal deutlich herausgearbeitet, dass der Planergänzungsbeschluss vom Herbst 2020 rechtswidrig ist.

Die Gegenseite, 50 Hertz und das Landesbergamt, haben zwei große Kanzleien mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, die sehr umfangreiche Schriftsätze, mehrere hundert Seiten, zur Abwehr der Klage des Nabu Brandenburg vorgelegt haben.

Unsere Experten haben aber aus dem Wust der gegnerischen Stellungnahmen die Punkte herausgegriffen, die gut fundiert widerlegt werden können.

Im Zentrum steht nach wie vor die Fragestellung, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele in den betroffenen europäischen Vogelschutzgebieten trotz der Errichtung der 380kV-Freileitung ausgeschlossen werden kann. Dass dies nicht gegeben ist, zeigen unsere Experten exemplarisch am Wasservögelbrutgebiet Landiner Haussee – Felchowsee, das durch die geplante Trasse gequert würde.

Neben der Frage, ob es Austauschbeziehungen zwischen den Vogelbeständen im Felchow- bzw. Landiner Haussee gebe, spielt auch die Frage der Wirksamkeit der Vogelschutzmarker bei Nacht und in Nebellagen eine große Rolle.

Am Ende geht es um die Einschätzung der Risiken für drei gefährdete Arten, die Rohrdommel, die Zwergdommel und das Kleine Sumpfhuhn.

Dabei insistiert unsere Seite darauf, dass der Auftrag des Gesetzgebers, dass für eine Genehmigung des Vorhabens in einem Schutzgebiet der Nachweis geliefert werden muss, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele auszuschließen ist, eingehalten wird. Die Beweislast liegt also beim Vorhabenträger bzw. der Genehmigungsbehörde und nicht beim Kläger. Die Gegenseite argumentiert gerne, dass es keine Beweise für die erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele gebe.    

Umstritten ist auch die Anwendung des vom Bundesamt für Naturschutz vorgelegten Fachkonventionsvorschlags aus dem Jahr 2019 zur Wirksamkeit von Vogelschutzmarkern. Kann man diesen Konventionsvorschlag schematisch anwenden, oder ist doch eine genaue Prüfung des Einzelfalls erforderlich?

Auch die Frage, ob die technische Variante der Erdverkabelung bei der Abweichungsprüfung einer eingehenden Prüfung bedarf, wird wieder eine Rolle spielen. Immerhin hat die Genehmigungsbehörde im Planergänzungsbeschluss bei zwei europäischen Vogelschutzgebieten festgestellt, dass die geplante Leitung gegen das Naturschutzgesetz verstößt, aber im Zuge einer Abweichungsprüfung mit Blick auf die gesetzlich festgestellte „Notwendigkeit der Leitung“ eine Genehmigung erteilt.

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofe von 28. Oktober 2021 zur Anwendung der Artenschutzrichtlinie ist für diesen Rechtsstreit auch relevant und eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, den Streit möglicherweise dem EuGH vorzulegen.

All diese Fragen sind sehr speziell und eher Gegenstand für eine Expertendiskussion. Sie sind einer breiteren Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar, aber für den Ausgang des Klageverfahrens entscheidend.

Eine erstaunliche Engführung im Zuge des Rechtstreits

Wenn man bedenkt, dass unsere Bürgerinitiative all die Jahre auf die vielfältigen Risiken, die die Errichtung einer 380kV-Freileitung in der Nähe von Wohngebieten oder bei der Querung von Schutzgebieten mit sich bringt, es handelt sich um gesundheitliche, wirtschaftliche und ökologische Risiken, die weitgehend vom Gericht ausgeklammert wurden, dann muss man von einer erstaunlichen Engführung im Zuge des Gerichtsverfahrens sprechen.

Polemisch zugespitzt sprechen die Kritiker des Verfahrens davon, dass drei seltene Vogelarten im Rechtsstreit wichtiger sind als die Menschen, die unter der Freileitung zu leiden haben werden, sei es, dass sie den elektrischen und magnetischen Feldern einer 380kV Freileitung ausgesetzt sind, dass sie unter den wirtschaftlichen Konsequenzen, zum Beispiel dem Wertverlust ihrer Immobilien in Trassennähe oder unter dem Verlust von Erholungsflächen wegen der Zerstörung des Landschaftsbildes durch die großtechnische Überprägung u.a. zu leiden haben. Von den wirtschaftlichen Konsequenzen ganz zu schweigen.

Wir haben die mündliche Verhandlung am 21. Juni 2022 in Leipzig aufmerksam verfolgt und festgestellt, dass die Vorsitzende einen Fragenkomplex nach dem anderen „abgearbeitet“ hat, indem sie die Positionen von Kläger und LBGR bzw. 50 Hertz zu Wort kommen ließ. Die Prozessführung der Vorsitzenden ließ nicht erkennen, in welche Richtung der Senat tendiert. Fragen wurden kaum gestellt, sondern die einzelnen Punkt nur aufgerufen.

Eine Prognose über den Prozessausgang konnte auf dieser Basis nicht gestellt werden.

Unser Anwalt hat gegen Ende der Verhandlung eine Reihe von Beweisanträgen gestellt und unter anderem auch die Frage aufgeworfen, ob nicht EU-Recht durch das EnLAG  verletzt werde, indem die Abweichungsentscheidung in den beiden europäischen Vogelschutzgebieten mit dem EnLAG begründet werde (Ablehnung der teilweisen Erdverkabelung).

Ein skandalöses Fehlurteil

Am 5. Juli 2022 verkündete die Vorsitzende Richterin des 4. Senats das Urteil: Die Klage des Nabu-Brandenburg und alle Beweisanträge unseres Anwalts wurden abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufgetragen.

Diese Urteil ist eine skandalöse Fehlentscheidung, gegen die aber keine Rechtsmittel eingelegt werden können, denn im EnLAG wurde festgelegt, dass das BVerwG als erste und letzte Instanz über  Rechtsstreitigkeiten von EnLAG-Projekten entscheidet. Wir müssen dieses Urteil hinnehmen.

Es bleibt nur die Möglichkeit einer Beschwerde bei der EU-Kommission. Wir werden diesen Weg beschreiten, wissen aber, dass dadurch die Errichtung der Leitung nicht verhindert werden wird.

Uns hat das Urteil vor allem deshalb überrascht, weil wir mit einem völligen Scheitern nicht gerechnet hatten, denn wir hatten im Vorfeld der Verhandlung gut gepunktet. Im Rechtsschutzverfahren hatten wir einen Baustopp für 2/3 der Trasse erwirkt und das Gericht hatte erklärt, dass über die komplizierten Fragen, die unsere Klage aufwirft, nur in einer Hauptverhandlung und nicht im summarischen Verfahren entschieden werden könne.

Die schriftlichen Urteilsbegründung ist in allen Teilen durch Missgunst gegenüber der Klägerseite geprägt. Es ist ein skandalöses Fehlurteil, das nicht nur uns hart trifft, sondern auch für künftige Verfahren die Maßstäbe setzt.

Über die Frage inwiefern die durch den Krieg in der Ukraine verschärfte Energiekrise den 4. Senat bei der Urteilsfindung beeinflusst hat, kann nur spekuliert werden. Es ist aber auffällig, dass alle für uns positiven Entscheidungen des 4. Senats im Jahr 2021, also vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine und der aktuellen Energiekrise getroffen wurden. Eine ausführliche Kritik der schriftlichen Urteilsbegründung ist hier zu lesen.

Nach dem Urteil

Mit dem Urteil stellt sich die Frage nach der Zukunft der Arbeit der Bürgerinitiative, die auf der kommenden Mitgliederversammlung entschieden wird.

Zwei Aktionsfelder sind erkennbar, zunächst einmal gilt es die Prozesskosten, die dem Kläger aufgebürdet wurden zu stemmen bzw. unangemessene Forderungen wirksam zurückzuweisen. So machte das Landesbergamt uns gegenüber 30.000 Euro für Gutachterkosten geltend, eine Forderung, die uns schon etwas beunruhigte, denn sie übersteigt unsere Möglichkeiten bei weitem. Unserem Anwalt gelang es aber, das Gericht davon zu überzeugen, dass diese Forderung unbegründet war und die Gutachterkosten nicht für den Rechtsstreit, sondern im Genehmigungsverfahren angefallen waren. Die Forderungen, die 50 Hertz uns gegenüber geltend machen möchte, sind noch nicht bekannt. Sie werden erheblich sein.

Deshalb kann auch noch nicht über die Verwendung der Spendengelder, die vor dem Prozess gesammelt wurden, Rechenschaft abgelegt werden.

50 Hertz hat auf weiten Strecken der Trasse mit dem Holzeinschlag begonnen, um Baufreiheit für das Frühjahr zu schaffen. Die Überwachung der Einhaltung der Baubeschränkungen in der Brutzeit in den Schutzgebieten wird eine Aufgabe sein, die von der Bürgerinitiative allein nicht zu schaffen ist, hier kann die BI aber als Sammelpunkt für Informationen, die an die Aufsichtsbehörden weitergeben werden, dienen.

Ein anderes Thema, das durch die Bürger an uns herangetragen wird, ist die drohende Beeinträchtigung durch Schwerlasttransporte im Zuge der Baumaßnahmen. Hier sind die Gemeinden gefordert, ein scharfes Auge auf die Einhaltung der Vorschriften zu haben und eine Beschädigung der Bausubstanz der Straßen und Gebäude im Zuge der Baumaßnahmen für die 380kV-Freileitung zu verhindern.    

Mit diesem Ausblick schließe ich den Jahresrückblick 2022 auf ein Jahr, in dem wir ganz unerwartet eine herbe Niederlage durch ein skandalöses Fehlurteil des Bundesverwaltungsgerichts hinnehmen mussten.

Hartmut Lindner, BI-Sprecher

31.12.2022 

Holzeinschlag in Senftenhütte

Die Meldung, dass 50 Hertz auf die Realisierung der umstrittenen 380kV-Freileitung von Bertikow nach Neuenhagen verzichten würde, um in einem Akt der Solidarität mit der Ukraine die georderten Strommasten zum Wiederaufbau des dortigen Netzes zu spenden, erweist sich als Fakenews. 
Ganz im Gegenteil. An vielen Stellen der Trasse ist der Holzeinschlag in vollem Gange. Das Bild zeigt die Verwüstung bei Senftenhütte.

Schriftliche Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts erschienen

Nach dem Urteil des  Bundesverwaltungsgerichts  (BVerwG) vom 5. Juli 2022 ist im Verfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss für die 380kV-Freileitung nun die schriftlichen Urteilsbegründung ergangen. Mit dem Urteil ist der Rechtsweg erschöpft.

Die Bürgerinitiative Biosphäre unter Strom – keine Freileitung durchs Reservat hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 5. Juli 2022 unmittelbar nach der Urteilsverkündung auf der Basis der mündlichen Urteilsbegründung als „skandalöses Fehlurteilcharakterisiert und eine Kritik der schriftlichen Urteilsbegründung angekündigt.

„Die Urteilsbegründung ist durch Missgunst gegenüber der Klägerseite geprägt“

Am 13. Oktober 2022 ist unserem Anwalt nun die schriftliche Urteilsbegründung zugegangen. Es gibt danach für uns keinen Grund, unsere Stellungnahme zu modifizieren.

Die schriftliche Urteilsbegründung ist durch Missgunst gegenüber der Klägerseite geprägt. Das beginnt bei der Beurteilung der nachgewiesenen Verfahrensmängel, die zwar vom Gericht zugestanden werden müssen, aber als unerheblich abgetan werden, denn sie seien nicht ergebnisrelevant. Und es setzt sich auch bei der inhaltlichen Auseinandersetzung fort.

So wird die Beanstandung unseres Anwalts, wegen der verspäteten Zustellung des Verwaltungsvorgangs sechs Wochen nach Klageerhebung habe effektiv nur eine Frist von vier Wochen für die Klagebegründung bestanden, damit abgetan, es sei nicht dargelegt worden, „an welchem Vortrag er dadurch gehindert gewesen sein könnte“ (Rdnr. 13).

Für unerheblich werden Defizite bei der öffentlichen Auslegung der Umweltverträglichkeitsstudie II (im Internetportal) abgetan (Rdnr. 15), wie auch die Beanstandungen wegen zu kurz angesetzter Fristen (14 Tage) für Stellungnahmen in verschiedenen Beteiligungsverfahren oder der Terminierung eines Beteiligungsverfahren während der Schulferien 2019 (Rdnr.17-21).

Alle diese Beanstandungen wurden als unerheblich oder gar als unbegründet abgetan, denn eine Frist von 14 Tagen für eine Stellungnahme sei ausreichend.

„Beweisanträge als unerheblich vom Tisch gewischt“

Gravierender aber ist der Umgang des Gerichts mit den eingereichten umfangreichen Unterlagen und den Einwänden der Klägerseite gegen den Planergänzungsbeschluss der Genehmigungsbehörde.

Da wird mit Unterstellungen und der wiederholten Behauptung gearbeitet, die vorgebrachten Einwände gegen den Nachweis der Unerheblichkeit der Beeinträchtigungen seien nicht substantiiert (Rdnr. 32, 41, 70, 101).

Da wird dem Kläger unterstellt, er gehe davon aus, dass ein „Nullrisiko“ (Rdnr. 33) für den Leitungsanflug nachgewiesen werden müsse, wenn auf die Beweislast hingewiesen wird. Es ist nämlich Aufgabe des Vorhabenträgers den Nachweis anzutreten, dass von seinem Vorhaben „keine erhebliche Beeinträchtigung“ der Schutzziele ausgehe. Darauf hat der Anwalt der Klägerseite immer wieder hingewiesen. 

Das Gericht legt daraufhin der Klägerseite zur Last, nicht substantiiert vorgetragen zu haben, wenn es die Methode zur Erfassung der Vogelbestände in einem Schutzgebiet und der Vogelbewegungen in Zweifel zieht.

Das Gericht wischt in seiner schriftlichen Urteilsbegründung alle Einwände und gestellten Beweisanträge als unerheblich vom Tisch, egal ob es um die Frage der Beurteilung der beiden Brutgebiete Landiner Haussee oder Felchowsee als faktischem Brutgebiet, um die Frage der Erfassung der wirklichen Gefährdung von Vögeln durch Leitungsanflug, den Wirkungsgrad von Vogelmarkern an Freileitungen oder die Barrierewirkung von nicht synchronisierten Leitungssystemen geht.

Dabei wird selbst mit der Arithmetik Schlitten gefahren, wenn das Gericht mit Blick auf die Parallelführung der 110kV- und der 380kV-Freileitung bei Landin ausführt:  „Die Masthöhen betragen 49,25 m (Mast 116), 55,20 m (Mast 117) und 50,20 m (Mast 118), bei der Bestandsleitung 42,25 m (Mast 34) und 36,25 m (Mast 35). Während die Masten 116 und 118 räumlich etwa im Gleichschritt mit Mast 34 und 35 errichtet werden, ist Mast 117 etwa mittig zwischen den Masten der Bestandsleitung platziert.“ (Rdnr. 79) 

„ Zu einer Reduzierung des Vogelschlagrisikos trägt eine Synchronisierung der Leitungen und der Masten bei, an der es für Mast 117 und den Leiterseilen im Luftraum fehlt.“ (Rdnr. 81)

„Trotz der Position von Mast 117 erweist sich die Einschätzung der Konfliktträchtigkeit als „mittel“ als tragfähig: So sind die Masthöhen jedenfalls angenähert, wenn auch nicht identisch. (Rdnr.82) (Hervorhebung H.L.)

Der Mast 117 der 380 kV-Freileitung überragt mit 55, 2 m die beiden Masten der Bestandleitung um 18,95 m bzw. um 12.95 m. Wie man hier von einer Annäherung der Höhen sprechen kann, bleibt das Geheimnis des Gerichts.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auch in den anderen Fragen, der Zulässigkeit der Erdverkabelung im Rahmen einer Abweichungsprüfung oder bezüglich der Tangierung von Unionsrecht das Gericht immer zu einer Ablehnung der Anträge des Klägers kommt.

Im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) wurde festgelegt, dass beim Rechtsstreit über die Leitungsbauvorhaben, die im Anhang des Gesetzes aufgelistet sind, das Bundesverwaltungsgericht erste und letzte Instanz ist. Es gibt keine Revisions- oder Berufungsinstanz. Es gibt nur ein Rügeverfahren, bei dem aber der Senat, dessen Verhalten kritisiert wird, über diese Rüge entscheidet.

Der Rechtsweg ist erschöpft und das Fehlurteil ist Teil der künftigen Rechtsprechung in ähnlich gelagerten Verfahren.

Bei der Diskussion des EnLAG haben  Kritiker darauf hingewiesen , dass die Beschneidung des Rechtswegs (an Stelle des dreistufigen Verwaltungsgerichtsverfahrens tritt das BVerwG als einzige Instanz auf) rechtspolitisch und rechtsstaatlich äußerst fragwürdig ist. Das kann man an dieser Entscheidung gut erkennen.

Senftenhütte, 15.10.2022
Hartmut Lindner
Sprecher der Bürgerinitiative

Eine skandalöse Fehlentscheidung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts

Am 21. Juni 2022 ist über die Klage des NABU-Brandenburg gegen den Beschluss des Landesbergamts im Planergänzungsverfahren für die von 50 Hertz geplante Leitung mündlich verhandelt worden.  Heute, am 5. Juli 2022 wurde das Urteil des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts verkündet (siehe Pressemitteilung des Gerichts).

Das Gericht hat die Klage abgewiesen und auch nicht einen der Beweisanträge, die unser Anwalt gestellt hatte für den Fall dass die Klage abgewiesen würde, befürwortet.

Dieses Urteil ist aus unserer Sicht ein glattes Fehlurteil, das weder juristisch noch fachlich gerechtfertigt ist.

Es ist eine skandalöse Fehlentscheidung mit schweren Folgen für unsere Region, nicht nur für die Vogelwelt, sondern für den Natur- und Landschaftsschutz, für die unmittelbaren Trassenanwohner und auch für die ökonomische Entwicklung der Region. Der naturnahe Tourismus wird die Orte, die in Sichtweite der Trasse liegen meiden, die Immobilien in Trassennähe werden einen erheblichen Wertverlust erleiden und der Imageschaden für Anbieter und Verarbeiter von Lebensmitteln in der Region ist nicht abzuschätzen. Die Bürgerinitiative hat von schon zu Beginn des Konflikts auf diese Risiken hingewiesen.

Das Urteil wird für die Vogelwelt im Biosphärenreservat und im Randow-Welse-Bruch verheerende Folgen haben. Beim Herbst- und Frühjahrszug wird man das, wenn die Leitung steht, sehen können denn die Freileitung durchschneidet den Nordosten Brandenburgs, das Gebiet mit dem hochwertigsten Vogelaufkommen in Deutschland.

Hier leben auch viele gefährdete Arten, deren Lebensbedingungen durch die 380kV-Freileitung erheblich beeinträchtigt werden.

Es ist nicht nachvollziehbar, wie der 4. Senat dazu kommt, festzustellen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der geschützten Arten im Gebiet des Landiner Haussees und des Felchowsees. zwischen denen die Freileitung verlaufen wird, ausgeschlossen ist.

In den verschiedenen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung haben unsere Experten, ausgewiesene und anerkannte Ornithologen, dargelegt, weshalb eine erhebliche Gefährdung der geschützten Vogelarten nicht auszuschließen ist, wie der gesetzliche Auftrag lautet.

Mit dem heutigen Urteil werden diese Argumente vom Tisch gewischt.

Auch die Ausführungen zum zweiten Schwerpunkt in der mündlichen Urteilsbegründung sind nicht akzeptabel, denn hier bezieht das Gericht, ohne auf die Details der Problematik einzugehen, einen komfortablen rechtspositivistischen Standpunkt, indem es, ungeachtet der Tatsache, dass in Europa seit gut zehn Jahren 1000 Kilometer Erdkabel im Hoch- und Höchstspannungsbereich in Betrieb sind, feststellt, dass der Einsatz von Erdkabeln im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) nur in Pilotprojekten vorgesehen sei.

Dass die Verfassungskonformität des EnLAG „zweifelhaft“ ist (so das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutsche Bundestags) und dass das EnLAG durch die Begrenzung des Einsatzes von Erdkabeln auf die Pilotprojekte im Falle von Abweichungsprüfungen in europäischen Schutzgebieten möglicherweise mit EU-Recht kollidiert, diese Hinweise werden vom Gericht ignoriert beziehungseise nicht für relevant erachtet.

Eine Vorlage der Klage beim Europäischen Gerichtshof hat das Gericht abgelehnt.

Als Konsequenz der Abweisung der Klage ergibt sich auch, die Kostenentscheidung, die allein zu Lasten des Klägers geht.

Juristisch ist also das letzte Wort gesprochen, ein böses Wort, das das Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt, gerade weil es nicht nachvollziehbar ist, vor allem weil es im Vorfeld der mündlichen Verhandlung eine Reihe von Entscheidungen gab, die zu unseren Gunsten ausgefallen sind. Immerhin hat das Gericht einen teilweisen Baustopp für 2/3 der Trasse verfügt und uns im Eilverfahren Rechtsschutz gewährt.

Nachvollziehbar ist allerdings, dass der Vorhabenträger 50 Hertz durch seine Baumaßnahmen „auf eigenes Risiko“ (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts) Fakten geschaffen hat, die das Gericht offenkundig nicht unbeeindruckt gelassen haben.    

Es gibt keine Möglichkeit, dieses Urteil durch einen andere Instanz überprüfen zu lassen. Das Bundesverwaltungsgericht ist hier, eine Konsequenz des EnLAG, erste und letzte Instanz.

Offenbar gibt es keine Möglichkeit, dass wir den Konflikt vor das Bundesverfassungsgericht tragen. Der Rechtsweg ist erschöpft und es ist bitter, festzustellen, dass man nicht Recht bekommen hat.

Wir werden die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und dann noch einmal ausführlich diese „Rechtsfindung“ würdigen.

So bitter das Urteil ist, das heute gesprochen wurde, so bitter es ist, festzustellen, dass die Bürgerinitiative ihr Ziel, den Schutz von Mensch und Natur im Einzugsbereich der Trasse nicht erreicht hat. Dennoch zieht die Bürgerinitiative eine positive Bilanz.

Wir haben, getragen vom Engagement der Bürger, den Vorhabenträger und die Genehmigungsbehörde gezwungen, ihr Planungen wiederholt zu überarbeiten und damit das Verfahren entschleunigt. Wir haben zwei gerichtliche Baustopps erfochten und den Vorhabenträger zu einer Fülle von Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen veranlasst.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass wir durch das in diesem Konflikt erfochtene Urteil aus dem Jahr 2016 den Artenschutz erheblich und nachhaltig prägen und verbessern konnten , denn die Pflicht einer artbezogenen Prüfung, die heute gang und gäbe ist, haben wir damals durchgesetzt.

Bundesverwaltungsgericht verkündet Urteil am 5. Juli

Mitglieder der Bürgerinitiative und Rechtsanwalt Philipp Heinz (5. von rechts) im höchsten deutschen Verwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 21. Juni über die
von der Bürgerinitiative initiierten Klage gegen den Planergänzungsbeschluss zur Errichtung einer 380 kV-Freileitung von Bertikow nach Neuenhagen verhandelt. Eine Entscheidung wurde noch nicht getroffen, sie wird am 5. Juli um 10 Uhr verkündet.
Im Zentrum der Verhandlung standen folgende Themenkomplexe:

  1. die Beurteilung der Beeinträchtigungen des Vogelschutzes durch das geplante Freileitungsprojekt im Bereich Landiner Haussee – Felchowsee
  2. die Wirksamkeit von Markern an Freileitungen
  3. die Kritik an den Abweichungsprüfungen in den Vogelschutzgebieten Schorfheide und Randow-Welse-Bruch
  4. die Zulässigkeit von Erdkabeln außerhalb der Pilotprojekte
  5. die Vereinbarkeit des Energieleitungsausbaugesetzes mit EU-Recht, vor allem was die Frage des Ausschlusses von Erdverkabelungen für die Durchführung von Abweichungsprüfungen in den europäischen Vogelschutzgebieten betrifft

Am Ende der Verhandlung hat unser Anwalt noch einmal bekräftigt, dass wir den Planergänzungsbeschluss für rechtswidrig halten und hat deshalb seine Aufhebung gefordert. Ergänzend hat er fünf Beweisanträge gestellt, die die in der Verhandlung  vorgetragenen Argumente untermauern.
Das Gericht hat 50 Hertz und das Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg aufgefordert bis Freitag, 24.Juni dazu Stellung zu nehmen und unserem Anwalt den 28. Juni als Frist gesetzt, darauf zu antworten.
 
Wie das Gericht entscheiden wird, war während der Verhandlung nicht erkennbar. Es gibt drei Möglichkeiten:

  1. Erfolg oder Abweisung unserer Klage
  2. Aussetzung der Entscheidung zur weiteren Bearbeitung der von unserer Seite gestellten Beweisanträge
  3. Das Gericht setzt die Entscheidung aus und legt den Streitpunkt, ob die deutsche Legislative mit dem Energieleitungsausbaugesetz EU-Recht verletzt, indem es die Erdverkabelung außerhalb von Pilotprojekten ausschließt, dem Europäischen Gerichtshof vor

Ende der Einreichungsfrist für Erwiderungen im Klageverfahren

Am 15. März endete die Frist für die Einreichung der abschließenden Erwiderungen aller Prozessbeteiligten für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Seitdem können keine weiteren Gesichtspunkte in das Verfahren eingebracht werden.

Das Gericht hat für die mündliche Verhandlung den 21. Juni 2022 festgelegt und wird auf der Basis der eingereichten Erwiderungen und dem mündlichen Vortrag der Beteiligten in der Verhandlung entscheiden.

Fragestellungen des Rechtsstreits

In ihrer ausführlichen Stellungnahme hat die Kanzlei Philipp Heinz, gestützt auf die Zuarbeiten von unseren Experten, noch einmal deutlich herausgearbeitet, dass der Planergänzungsbeschluss vom Herbst 2020 rechtswidrig ist.

Die Gegenseite, 50 Hertz und das Landesbergamt haben zwei große Kanzleien mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, die sehr umfangreiche Schriftsätze, mehrere hundert Seiten, zur Abwehr der Klage des NABU-Brandenburg vorgelegt haben.

Unsere Experten haben aber aus dem Wust der gegnerischen Stellungnahmen die Punkte herausgegriffen, die gut fundiert widerlegt werden können.

Im Zentrum steht nach wie vor die Fragestellung, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele in den betroffenen europäischen Vogelschutzgebieten trotz der Errichtung der 380kV-Freileitung ausgeschlossen werden kann. Dass dies nicht gegeben ist, zeigen unsere Experten exemplarisch am Wasservogelbrutgebiet Landiner Haussee – Felchowsee, das durch die geplante Trasse gequert würde.

Neben der Frage, ob es Austauschbeziehungen zwischen den  Vogelbeständen im Felchowsee  bzw. dem Landiner Haussee gebe, spielt auch die Frage der Wirksamkeit der Vogelschutzmarker bei Nacht und in Nebellagen eine große Rolle.

Am Ende geht es um die Einschätzung der Risiken für drei gefährdete Arten, die Rohrdommel, die Zwergdommel und das Kleine Sumpfhuhn.

Dabei insistiert unsere Seite darauf, dass der Auftrag des Gesetzgebers, dass für eine Genehmigung des Vorhabens in einem Schutzgebiet der Nachweis geliefert werden muss, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele auszuschließen ist, eingehalten wird. Die Beweislast liegt also beim Vorhabenträger bzw. der Genehmigungsbehörde und nicht beim Kläger. Die Gegenseite argumentiert gerne, dass es keine Beweise für die erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele gebe.   

Umstritten ist auch die Anwendung des vom Bundesamt für Naturschutz vorgelegten Fachkonventionsvorschlags von 2019 zur Wirksamkeit von Vogelschutzmarkern. Kann man diesen Konventionsvorschlag schematisch anwenden, oder ist doch eine genaue Prüfung des Einzelfalls erforderlich?

Auch die Frage, ob die technische Variante der Erdverkabelung bei der Abweichungsprüfung einer eingehenden Prüfung bedarf, wird wieder eine Rolle spielen. Immerhin hat die Genehmigungsbehörde im Planergänzungsbeschluss bei zwei Schutzgebieten festgestellt, dass die geplante Leitung gegen das Naturschutzgesetz verstößt, aber im Zuge einer Abweichungsprüfung mit Blick auf die gesetzlich festgestellte „Notwendigkeit der Leitung“ eine Genehmigung erteilt.

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 28. Oktober 2021 zur Anwendung der Artenschutzrichtlinie ist für diesen Rechtsstreit ebenfalls relevant und eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, den Streit möglicherweise dem EuGH vorzulegen.

All diese Fragen sind sehr speziell und eher Gegenstand für eine Expertendiskussion. Sie sind einer breiteren Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar, aber für den Ausgang des Klageverfahrens entscheidend.

Erstaunliche Engführung im Zuge des Rechtstreits

Wenn man bedenkt, dass die Bürgerinitiative all die Jahre auf die vielfältigen Risiken, die die Errichtung einer 380kV-Freileitung in der Nähe von Wohngebieten oder bei der Querung von Schutzgebieten mit sich bringt, es handelt sich um gesundheitliche, wirtschaftliche und ökologische Risiken, die weitgehend vom Gericht ausgeklammert wurden, dann muss man von einer erstaunlichen Engführung im Zuge des Gerichtsverfahrens sprechen

Polemisch zugespitzt werden die Kritiker des Verfahrens davon sprechen, dass drei seltene Vogelarten im Rechtsstreit wichtiger erscheinen als die Menschen, die unter der Freileitung zu leiden haben werden. Sei es, dass sie den elektrischen und magnetischen Feldern einer 380kV Freileitung ausgesetzt sind, dass sie unter den wirtschaftlichen Konsequenzen, z.B. dem Wertverlust ihrer Immobilien in Trassennähe oder unter dem Verlust von Erholungsflächen wegen der Zerstörung des Landschaftsbildes durch die großtechnische Überprägung zu leiden haben.       

Auf nach Leipzig!

Das Gericht hat den 21. Juni 2022 als Termin für die mündliche Verhandlung der Klage festgesetzt. Die Bürgerinitiative wird Anfang Mai mit der Organisation einer Gruppenreise zur Prozessbeobachtung beginnen. Die Verhandlungen des Bundesverwaltungsgerichts sind öffentlich und wir werden von unserem Recht, diese Verhandlung zu besuchen, wie bereits 2016 beim ersten Prozess, Gebrauch machen.  

Nicht über unsere Köpfe

Keine 380kV-Freileitung durch Schutz-und Wohngebiete!“

Hartmut Lindner, Sprecher der BI

Trassenrundbrief zum Jahresende 2021

Blick durch die Montageteile von Mast 217 auf die Trasse bei Golzow. Die Masten, die Golzow umschließen, stehen schon. Nach dem Mast 217 Richtung Norden greift der vom Bundesverwaltungsgericht verhängte Baustopp.

 

Ein Jahr, das im Konflikt um die 380kV-Freileitung sehr wichtig war, nähert sich dem Ende. Wir werfen einen Blick zurück.

1. Außergerichtliche Einigung gescheitert

Beim Gespräch mit 50 Hertz am 22. Dezember 2021, das Staatssekretär Hendrik Fischer aus dem brandenburgischen Wirtschaftsministerium vermittelt und moderiert hat, lehnte der technische Geschäftsführer von 50 Hertz, Frank Golletz, es definitiv ab, auf Vorschläge der Bürgerintiative zur außergerichtlichen Beilegung des Konflikts um die Freileitung einzugehen.

Die von uns geforderte teilweise Erdverkabelung der geplanten 380kV-Freileitung in den Konfliktzonen sei mit zu vielen Risiken behaftet und eine entsprechende Umplanung würde zu einer Verzögerung der Inbetriebnahme der Leitung führen. Sie könne dann frühestens im Jahr 2029 oder gar noch später ans Netz gehen könnte. Die Leitung werde aber dringend benötigt, um erhebliche Redispatchkosten einzusparen.

Wir hatten in einem ersten Gespräch am 17. November 2021 im brandenburgischen Wirtschaftsministerium vier Teilverkabelungsabschnitte (insgesamt rund 60 Maststandorte) in sensiblen Gebieten ins Gespräch gebracht. 50 Hertz hat nicht einmal versucht auszuloten, wo unsere Kompromissbereitschaft liegen könnte, sondern es abgelehnt, die Option einer teilweisen Erdverkabelung überhaupt in Betracht zu ziehen.

Frank Golletz setzt offenbar ganz auf die Einflüsterungen seiner Kanzlei, dass man im Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht obsiegen werde, da unsere Klage wenig Aussicht auf Erfolg habe. Dabei wird ignoriert, dass der Konflikt um die europäischen Vogelschutzgebiete EU-Recht berührt, so dass möglicherweise das Gericht offene Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen wird. 50 Hertz tritt auf sehr dünnem Eis sehr selbstbewusst auf.

Der jüngste Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, in dem der Baustopp für rund zwei Drittel der Trasse (216 von 342 Masten) für die Dauer des Verfahrens verhängt und ferner festgehalten wurde, dass die komplizierten Fragen, die unsere Klage aufwirft, nur in einer Hauptverhandlung geklärt werden könnten, also offen seien, hat die Gegenseite nicht beeindruckt, während wir ihn als einen Erfolg für unsere Seite verbuchen.

Am Ende des Gesprächs blieb Staatssekretär Fischer nichts anderes übrig, als das Scheitern des Versuchs einer außergerichtlichen Einigung zu konstatieren.

Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2021 (Baustopp) hatten wir am 7. Juli 2021 an den Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) appelliert, sich vermittelnd in den Konflikt einzuschalten und einen runden Tisch zur Lösung des Konflikts zu moderieren (siehe Punkt 5). Der Ministerpräsident hat unser Schreiben an das Wirtschaftsministerium weitergeleitet, das schließlich zu den Gesprächsrunden am 17.11. und 22.12 einlud.

Im November 2021 hat das Bundesverwaltungsgericht bei den Prozessbeteiligten angefragt, ob ein vom Gericht moderierter Termin zur außergerichtlichen Beilegung des Konflikts gewünscht werde. Dem haben wir am 10. Dezember (Ende der Erklärungsfrist) zugestimmt.

Ob nach dem Scheitern des vom Wirtschaftsministerium moderierten Gesprächs die Wahrnehmung eines Vermittlungstermins beim Bundesverwaltungsgericht sinnvoll ist, ist derzeit fraglich. Möglicherweise verzichtet das Gericht angesichts des jüngsten Scheiterns eines Einigungsversuchs darauf.

Einen Termin für die Hauptverhandlung hatte es für das 2. Quartal 2022 in Aussicht gestellt.

Jahresrückblick 2021

1. Allgemeine Charakterisierung unserer Arbeit

Die Aktivitäten des Freileitungsprotestes in diesem Jahr waren ganz von der Konzentration auf die im Herbst 2020 eingereichte Klage gegen den Planergänzungsbeschluss und erste Baumaßnahmen von 50 Hertz geprägt. Die Einschränkungen durch die Coronapandemie waren auch für uns spürbar, denn die Organisation von großangelegten Protestmaßnahmen war unter den Bedingungen der Pandemie nicht möglich. Das Mandat des Sprechers der BI wurde bei der Jahrestagung am 7. August erneuert.

2. Holzeinschlag und Baumaßnahmen von 50 Hertz

Schon im Dezember 2020 hatte 50 Hertz damit begonnen, den Holzeinschlag auf Trassenabschnitten südlich von Eberswalde vornehmen zu lassen und im Frühjahr und Sommer 2021 mit der Errichtung von Freileitungsmasten im Baufeld 4 (Golzow – Sydower Fließ) zu beginnen.

Der Fortschritt der Baumaßnahmen an der Trasse wurde von uns beobachtet und dokumentiert. Es ist uns auch gelungen, die Medien für den erheblichen Holzeinschlag zu interessieren und zu einer angemessenen Berichterstattung zu veranlassen (siehe Punkt 7).

Die hektisch durchgeführten Baumaßnahmen von 50 Hertz deuten darauf hin, dass man hier eine Strategie der vollendeten Tatsachen verfolgt, die das Gericht einerseits von der Triftigkeit der von 50 Hertz vorgetragenen Argumentation überzeugen soll, nach dem Motto: „Wenn sie es so ernst meinen, dann muss da ja was dran sein!“. Andererseits spekuliert man offenbar darauf, dass das Gericht sich nicht zu der Entscheidung durchringen wird, eine millionenschwere Investition zurückbauen zu lassen, zumal alle Welt davon redet, dass der Netzausbau für den Erfolg der Energiewende und die Bekämpfung der Klimakrise unverzichtbar sei.

Demgegenüber halten wir fest, dass Energiewende, Klimaschutz und Naturschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern gemeinsam zu realisieren sind. Die Schutzgebiete sind ebenso von öffentlichem Interesse, wie eine sichere und umweltverträgliche Stromversorgung.

3. Tauziehen um den Baustopp

Ermöglicht wurden diese Baumaßnahmen, da das Gericht im November 2020 entgegen unserem Antrag auf den Erlass eines Baustopps für das gesamte Leitungsbauvorhaben durch eine sogenannte Zwischenverfügung verzichtet hat. Es hat sich mit der Zusicherung von 50 Hertz zufrieden gegeben, in den Baufeldern 1 bis 3 keine Baumaßnahmen vorzunehmen, bis über den Rechtsschutzantrag entschieden sei, da sich nur dort Trassenabschnitte befinden, für die von unserer Seite naturschutzfachliche Belange geltend gemacht würden.

Das Gericht sah durch diese Erklärung unser Rechtsschutzinteresse bis zur Entscheidung über unseren Rechtsschutzantrag gewahrt. Es betonte aber 50Hertz gegenüber, dass die Baumaßnahmen auf eigenes Risiko durchgeführt würden, da 50 Hertz über keinen „bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss verfügt“ (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.1.2020).

Mit seinem Beschluss vom 15.6.2021 hat das Gericht einen Baustopp zwischen Mast 1 und Mast 216 für die Dauer des Verfahrens ausgesprochen und damit den Beschluss vom 12.11.2020 bekräftigt.

Dieser Beschluss des Gerichts vom 15.6.2021 ist auch noch in seinen anderen Teilen für uns von Interesse. Darin wird festgestellt, dass viele Fragen, die unsere Klage aufwirft, nur im Rahmen einer Hauptverhandlung zu klären seien. Dazu zählt auch die Frage, ob eine Erdverkabelung im Rahmen einer Alternativenprüfung herangezogen werden müsse, selbst wenn es sich bei dem Leitungsbauvorhaben nicht um eine Pilotprojekt handle.

4. Kontaktpflege mit Ämtern und kommunalen Verwaltungen

Über den aktuellen Stand des Konflikts wurden die betroffenen Ämter und kommunalen Verwaltungen entweder in persönlichen Gesprächen oder durch Mails informiert. Diese Kontaktpflege ist für uns wichtig, da die Verankerung des Freileitungsprotests in den Kommunen uns eine zusätzliche Legitimation verschafft. Wir handeln durchaus auch im Auftrag der Kommunen, die unseren Kampf unterstützen.

5. Politische Initiativen 

Bereits im Frühjahr 2020 war der Sprecher der Bürgerinitiative im Anschluss an den Neujahrsempfang der Grünen im Brandenburger Landtag an den neuen Minister für Umweltschutz, Axel Vogel, herangetreten und hatte ihn um eine politische Initiative (Einladung zu einem runden Tisch oder Ähnliches) zur Beilegung des Konflikts um die Freileitung gebeten. Im März 2020 wurde uns mitgeteilt, dass die Federführung beim brandenburgischen Wirtschaftsministerium liege, das angesichts des fortgeschrittenen Verfahrensstands keine Interventionsmöglichkeit sehe.

Der Sprecher der Bürgerinitiative hat daraufhin noch einmal die ganze Bandbreite unserer Lösungsvorschläge dargelegt und wenig später das politische Versagen der Landesregierung in diesem Konflikt konstatiert.

Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.6.2021 veranlasste die Bürgerinitiative, den Verein „Wir in der Biosphäre“ und den NABU Brandenburg noch einmal zu einem gemeinsamen Appell an den Ministerpräsidenten am 7.7.2021 sich um die Beilegung des Konflikts durch die Moderation eines runden Tisches zu bemühen. Die beiden Gesprächsrunden, in die unsere Initiative am 17.11. und 22.12.2021 mündete, entsprachen zwar nicht dem von uns gewünschten Format, aber wir haben sie dennoch genutzt, um unsere Vorschläge zur Konfliktlösung einzubringen.

Das Scheitern der Gespräche ist allein in der harten Haltung von 50 Hertz begründet.

6. Prozessbegleitung

Der anhängige Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht wird von uns in enger Abstimmung mit unserem Anwalt Philipp Heinz, dem Vorstand des „Wir in der Biosphäre“ e.V. und dem NABU Brandenburg, in die auch unsere Experten einbezogen werden, geführt.

Die umfangreichen Schriftsätze der Gegenseite erfordern eine zügige Erwiderung, zugleich kommt es darauf an, sich nicht in eine Materialaschlacht ziehen zu lassen, sondern gezielt die wunden Punkte in der gegnerischen Argumentation zu identifizieren, an denen sich gut punkten lässt, denn unsere finanziellen Mittel sind begrenzt.

Es handelt sich um einen asymmetrischen Konflikt, den wir nur bestehen können, wenn wir flexibel auf die Herausforderungen reagieren. Der Beschluss des BVerwG vom 15.6.2021 bestätigt uns aber in unserer Strategie.

7. Öffentlichkeitsarbeit

Unsere Öffentlichkeitsarbeit stützt sich unsere guten Kontakte zu umweltbewussten Journalisten und Journalistinnen bei der „Märkischen Oderzeitung“ und beim rbb, zum anderen auf unsere Homepage www.trassenfrei.info.

Berichte in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“:

Pfahlgründungen für neue Stromleitung“ (14.2.202)
Waldschneisen für Stromriesen“ (10.2.2021)
Holzeinschlag ohne Baurecht“ (25.2. 2021)
Bürgerinitiative kritisiert Kahlschlag“ (16.4.2021)

Ferner hat der rbb am 1.7.2021 sowie die „Märkischen Oderzeitung“ am 2.7.2021 über den vom Bundesverwaltungsgericht verhängten Baustopp berichtet.

In der „Barnimer Bürgerpost“ wurde kontinuierlich über den Konflikt berichtet. Diese Leserzeitung hat zwar eine geringe Auflage, aber eine für uns relevante Leserschaft. Nach wie vor ist es schwierig, den Konflikt in überregionalen Medien einzuspeisen.

Es war besonders erfreulich, dass die Bürgerinitiative im Herbst 2021 zu einer Diskussionsrunde der Stakeholder im Biosphärenreservat eingeladen wurde, die von der Evaluierungskommission von „Man and Biosphere“ einberufen worden war, um sich über Probleme bei der Umsetzung der Ziele der Biosphärenreservats Idee zu informieren.

8. Ausblick auf 2022

Wir bedauern es zwar, dass 50 Hertz nicht auf unsere Vorschläge eingegangen ist, den Konflikt, der ins 14. Jahr geht, zu beenden. Dennoch blicken wir voller Zuversicht auf das nächste Jahr, denn die harte und verbohrte Haltung von 50 Hertz ist für uns kein Novum und einer der Gründe für das Scheitern von 50 Hertz 2016 vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Es ist gut möglich, dass sich dieses Scheitern 2022 in Leipzig wiederholt oder der Rechtsstreit letztlich beim Europäischen Gerichtshof ausgefochten werden muss.

Wir sind dafür gerüstet.

Es bleibt dabei:

Nicht über unsere Köpfe! Keine 380kV-Freileitung durch Schutz- und Wohngebiete!

Bitte spenden Sie für die Begleichung der Prozesskosten an: Wir in der Biosphäre e.V., IBAN DE18 1509 1704 0060 6979 49, VR Bank Uckermark

50 Hertz greift mit seinen Baumaßnahmen das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin an

Die  neue (links) und die alte Trasse  zwischen Golzow und Britz (Mast 221 bis 225)

Die Baumaßnahmen im Baufeld 4 (Golzow – Sydower Fließ, Masten 217 -281) für die umstrittene 380kV-Freileitung werden von 50 Hertz beharrlich und zügig vorangetrieben.

Schließlich gilt es Fakten zu schaffen, bevor das Bundesverwaltungsgericht sich intensiver mit dem Freileitungsprojekt befasst. Die Warnung, die das Gericht in seinem Beschluss vom 12. November 2020 ausgesprochen hat, halten die Macher bei 50 Hetz offenbar für unerheblich:

„Es mag sein, dass ein Erfolg des Antragstellers (Nabu-Brandenburg, H.L.)  im Eil- und späteren Klageverfahren dazu führt, dass der Planfeststellungsbeschluss insgesamt beanstandet würde. Es ist aber Sache der Beigeladenen (50 Hertz, H.L.) zu entschieden, ob sie bereits Investitionen vornimmt, obwohl sie nicht über einen bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss verfügt“ (BVerwG 4 VR 6.20)

Mit dem Beschluss vom 15. Juni 2021 zum Rechtsschutzantrag hat das Bundesverwaltungsgericht für die Baufelder 1-3 (zwischen Mast 1 und Mast 217) einen Baustopp verhängt und festgestellt, dass die Erfolgsaussichten der Klage nicht im summarischen Verfahren zu beurteilen sind. Viele Frage seien in der Hauptverhandlung zu klären.  

Damit hat das Gericht der Rechtsauffassung des LBGR und von 50 Hertz, die Klage sei unbegründet und abzuweisen, klar widersprochen.

Inzwischen stehen die ersten Masten bereits nördlich des Finowkanals zwischen Britz und Golzow (Mast 225-219), also auf dem Gebiet des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin. Für die letzten beiden Masten (218 und 217) an der Grenze zum Baufeld 3, in dem der Baustopp greift, sind die Fundamente gegossen und liegt das Material zur Montage des Gestänges bereit.

Südlich von Mast 225 sind vorbereitende Maßnahmen für Fundamentarbeiten erkennbar.

Wer die Verbindungsstraße von Golzow nach Britz entlangfährt, kann die Masten sehen und unschwer erkennen, dass sie die Bestandsleitung deutlich überragen.

Mit dem Angriff auf das Biosphärenreservat treibt 50Hetz sein Hasardspiel auf die Spitze.

Für die Querung Eberswaldes hat 50 Hertz die Errichtung der Masten für das kommende Frühjahr/den Sommer angekündigt. Zunächst will man im Bereich der Garagen, die einem Mastfundament im Wege stehen, für Baufreiheit sorgen.

Da Friedhelm Boginski auf der Landesliste der FDP in den Bundestag gewählt wurde, stehen in Eberswalde  Bürgermeisterwahlen an. Mal sehen, ob der Konflikt um die 380 kV-Freileitung in dem kommenden Wahlkampf um das Bürgermeisteramt eine Rolle spielt.